Erster Akt
- 17.09.
- Bekomme vom Erasmus-Beauftragten für den Studiengang Informatik eine Arbeitsstelle angeboten. Zwei bis vier Stunden die Woche Studenten betreuen und Arbeiten korrigieren.
- 21.09.
- Gespräch mit dem Zuständigen. Habe die Stelle, geht demnächst los. Arbeitsvertrag? Gibt es nicht.
- 05.10.
- Die erste Übungsstunde, ich betreue sechs Studenten. Die Arbeit gefällt mir, Erfahrung in der Lehre ist immer gut.
- 02.11.
- Schon einige Wochen Arbeit liegen hinter mir. Der Zuständige teilt ein Formular aus, “Non-Staff Personal Details Form” (persönliche Angaben von Nicht-Angestellten). Hat so schöne Felder wie “National Insurance Number” (nationale Versicherungsnummer). Trage nichtsahnend meine Krankenversicherungsnummer von Nordirland ein, die ich mir am Anfang meines Aufenthalts besorgt hatte. Au weia! Ich muss ein Konto eröffnen, die Verwaltung kann meinen Lohn nicht nach Deutschland überweisen. Fülle außerdem eine “Tax Declaration” (Steuerangaben) aus, habe aber keinen Schimmer, was das alles bedeutet. Suche noch am Abend nach Bankkonditionen. Nein, ich will mich nicht durch hundert Seiten starke AGBs wühlen. Und auf den Standardsatz “Terms and Conditions apply” (Bedingungen werden angewandt) habe ich auch keine Lust mehr. Entscheide mich für eine Bank, die ein Konto für internationale Studenten anbietet.
- 03.11.
- Gehe zur Filiale der Bank. Habe alle möglichen Unterlagen dabei und
erkläre mein Anliegen. Nette Dame führt Smalltalk mit mir, habe aber den
Verdacht, dass sie das eigentlich nicht interessiert. Bekäme auch
Zinsen, wenn ich pro Monat 50 £ einzahlte. Mache ich aber nicht. Möchte
eigentlich gerne meinen Lohn auf mein Konto in Deutschland überweisen.
Kein Problem, kostet auch bloß 25 £ pro Transaktion. Dann doch lieber
eine Debitkarte. Ach ja, 5 £ Kontoführungsgebühren pro Monat, weil das
nicht mein Hauptkonto sei und überhaupt. Unterschreibe einen Vertrag,
von dem ich keine Kopie erhalte. Dafür aber einige Broschüren, die
ausführen, dass die Bank sehr transparent mit den Gebühren sei.
Wieder zu Hause, finde ich weder die Passage mit den Zinsen noch mit den Kontoführungsgebühren. Erwarte gespannt die zahlreichen Briefe, die mich in nächster Zeit beglücken werden.
- 04.11.
- Gebe stolz mein ausgefülltes Formular in der Verwaltung ab. Habe mir die Kontodetails sogar extra von der netten Dame ausfüllen lassen, damit das auch ja alles ordentlich ist. Was ich bei “Branch Name” und “Branch” eintragen muss, wusste ich schließlich nicht.
- 08.11.
- Erhalte einen auf 04.11. datierten PIN-Brief. Entweder ist die Post sehr langsam oder das Absenderdatum falsch.
- 08.11.
- Erhalte eine E-Mail von der Universität:
Thank you for recently submitting your Non-Staff Personal Details Form (NSP2) to us.
However you have not provided us with a UK National Insurance Number and we are required by HMRC to obtain one for all individuals who we pay for work done. The number you have given on your NSP form is not a valid UK National Insurance Number.
Freie Übersetzung: Du Idiot hast die falsche Nummer eingetragen. Kann passieren, war halt doch nicht die Krankenversicherungsnummer gefragt. Weiterlesen:
If you do not currently have a UK National Insurance Number you will need to obtain one from the Social Security Office. You will need to phone them first to (028) 90545500 and make an appointment to see them. Their address is Conor Building, 107/111 Great Victoria Street, Belfast, BT2 7AG. Once you have been issued with a National Insurance Number by them you will need to give it to us so that any National Insurance contributions deducted from payments we might make to you can be credited to your account.
Ich muss die extra beantragen? Dafür brauche ich einen Termin? Nun gut, Telefonnummer angerufen, mich leicht unsicher durch die Sachbearbeiter gehangelt. Persönliche Details durchgegeben. Habe am 18.11. einen Termin, um 11:15, der nächste freie, wurde mir versichert. Habe eigentlich Vorlesungen um die Zeit, aber man muss eben Prioritäten setzen. Außerdem würde ich noch einen Brief bekommen, was ich alles noch an Unterlagen mitbringen soll.
Zweiter Akt
- 10.11.
- Ui, ein offizieller Brief, zumindest steht “On Her Majesty’s Service”
(Im Dienste Ihrer Majestät) auf dem Umschlag. Absender ist die “Social
Security Agency”, das “Department for Employment and Learning” und/oder
das “Shaftesbury Square Jobs & Benefits Office”. Ob das jetzt eine
Behörde ist oder nur eine Unterabteilung oder wasauchimmer, ist mir
nicht ganz klar. Der Briefbogen sieht auch aus wie mit einem populären
Textverarbeitungsprogramm ohne Rücksicht auf einheitliche Schriftarten
erstellt. Aber es gibt ja auch keinen Schönheitspreis.
Also, mein Interview ist am Donnerstag um 11:15. Beigefügt ist eine Liste von wichtigen Dokumenten, die ich mitbringen muss:
-
gültiger Reisepass — lässt sich machen
-
“National Identity Card” — eine Art britischer Personalausweis. Sowas hab ich doch wieder nicht. Ich nehme einfach meinen Personalausweis mit und hoffe dass es niemandem auffällt.
-
“Letter from Employer/Contract of Employment” — einen Nachweis, dass ich arbeite, habe ich nicht, und einen Arbeitsvertrag schon gar nicht
-
Lohnabrechnung — Wie soll ich bitte eine Lohnabrechnung vorweisen, um meine Nummer zu kriegen, wenn ich ohne Nummer keinen Lohn bekomme?
-
Mietvertrag oder Bescheinigung vom Vermieter — ich habe so etwas ähnliches, aber ob das reicht, ist ungewiss. Die Bank hat es akzeptiert, aber bei Behörden weiß man ja nie
-
Bankkarte oder Kontoauszug — vorhanden
-
Nebenkostenabrechnung oder Adressnachweis — Reicht der Mietvertrag denn nicht aus?
-
frühere Adressen in UK — nicht vorhanden
-
Reisedokumente (E-Ticket, Bordpässe) — nur gut, dass ich das aufgehoben habe
-
eine kleine Ziege zum Opfern — würde auch gut in diese Liste passen
Alles klar, Unmögliches wird sofort erledigt, Wunder brauchen etwas länger. Habe noch einige Tage Zeit.
-
- 11.11.
- Schreibe dem Zuständigen eine E-Mail, dass ich so einen Wisch brauche, dass ich auch tatsächlich arbeite und nicht nur rumlungere.
- 12.11.
- Gehe zur Wohnheimsrezeption und möchte den anderen Wisch. Fülle ein Formular aus und werde gebeten, am Montag wieder zu kommen.
- 15.11.
- Tag der Höchstleistungen! Sammle die angefragten Dokumente ein. Mein Zuständiger hatte sich auf die E-Mail nicht gemeldet, also bin ich persönlich vorstellig geworden. Nach kurzer Überlegung, in welcher Orientierung das Briefpapier in den Drucker eingeführt werden möge, gehe ich mit Unterschrift Nr. 1 von dannen. Sofort eine Kopie machen, könnte noch nützlich sein. Hole auch den Zettel vom Wohnheim ab, den sie unter Außerachtlassung meines Kopierbedürfnisses in einen Umschlag gesteckt und diesen verschlossen haben. Öffne und kopiere trotzdem, so.
Dritter Akt
- 17.11.
- Welch Service: Um 09:30 ruft jemand bei mir an und gibt mir nochmal die benötigten Dokumente und den Termin durch. Ob ich alles hätte und den Termin bestätigen könne. “Jawoll!”, antworte ich, “Ich habe alle Dokumente eingeholt, und heute besorge ich die Opferziege.” (nicht wörtlich, natürlich).
- 18.11.
- Dann mal los. Bin rechtzeitig auf dem Amt und bekomme eine Nummer
zugeteilt, muss aber dank Termin nur fünf Minuten warten. Für das
Interview bin ich optimal vorbereitet und habe alle angeforderten
Dokumente zur Hand. Die werden auch klaglos akzeptiert. Das Prozedere:
Ausfüllen eines Formulars mit Angaben zu meiner Person und zu meinen
Eltern sowie meinen Reisedaten nach UK. Derweil kopierte die Beamtin
(oder britisches Äquivalent davon) meinen Personalausweis, einige Seiten
meines Reisepasses, meine Studentenkarte und meinen Führerschein; jede
Seite auf ein extra Blatt Papier. Jedes dieser Blätter musste dann von
mir, ihr und einem zweiten Beamten (der am Ende nochmal separat alles
mit mir durchging, offenbar üblich in UK) unterschrieben werden. Grotesk
wurde es aber erst dann, als ich gefragt wurde, wie ich denn von München
(Wohnort) nach Frankfurt (Abflugort) gekommen sei. Die Frage nach der
Relevanz dieser Auskunft habe ich mir dann doch verkniffen, was es aber
nicht weniger schleierhaft macht. Nach ca. 40 Minuten Gespräch hatte ich
dann noch ein mehrseitiges Formular zu prüfen und zu unterschreiben.
Darunter befand sich auch eine ganze Seite mit von der Beamten
angelegten Notizen über mich in der Sektion “everything that could be
relevant for your application” (alles, was für den Antrag relevant sein
könnte). Wenigstens wurden nicht so stupide Fragen wie bei der Einreise
in die USA gestellt (“Planen Sie, einem Staatsbürger ein Kind zu
entziehen? War Ihr Großvater ein Nazi? Haben Sie jemals versucht, zur
Beschleunigung von bürokratischen Akten dem zuständigen Beamten eine
Ziege als Opfer zu bringen?”). Glücklicherweise war das Personal sehr
freundlich und auch bereit, einem Nicht-Muttersprachler etwas zweimal zu
erklären.
Damit ist der zweite Teil erfolgreich abgeschlossen. In vier Wochen dürfte ich dann so eine Nummer haben und das große1 Geld verdienen.
Wie gut, dass durch die EU solche Vorgänge einfacher geworden sind. Als EU-Bürger brauche ich nämlich keine Arbeitsgenehmigung. Stellt euch jetzt mal vor, ich hätte als Marokkaner oder Usbeke so eine Nummer gebraucht. Nicht auszudenken, sowas.
- 27.11.
- Angesichts der prognostizierten vier Wochen Wartezeit könnt ihr euch
mein Erstaunen sicher vorstellen, als gestern ein Schreiben mit meiner
Versicherungsnummer im Briefkasten lag. Fein, dachte ich mir, dann die
Nummer gleich mal der Universität geben. Gerade, als ich eine E-Mail
beginnen wollte, fiel mir wieder ein, dass das ja schriftlich gemacht
werden müsste. Also ab zur Verwaltung der Uni und eine Kopie einreichen.
Allerdings ist damit der Fall immer noch nicht erledigt. Als ich nämlich am Montag von Newcastle wiedergekommen bin, fand ich einen Brief vom “Electoral Office for Northern Ireland” (könnte so etwas wie ein Wahlbüro sein) vor. Erster Gedanke: Wahlbüro? Wen soll ich den wählen? Inhalt: Ich sei gesetzlich dazu verpflichtet, mich als Wähler zu registrieren, auch wenn ich gar nicht wählen will (bzw. nicht zum Wählen komme, weil ich nicht lang genug hier bin).
Ich habe dann mal bei einigen anderen (internationalen) Studenten nachgefragt; offenbar haben so etwas nur wenige bekommen; hat also wahrscheinlich mit meiner Arbeitstätigkeit zu tun.
Also gut, sogleich das Formular ausfüllen und weg damit. Wäre da nicht das Kleingedruckte: “I have lived in Northern Ireland for the last three months”. Noch mal zum Mitschreiben für alle Behörden hier: Ich bin nicht einmal fünf Monate hier! Soll ich mich am 15. Dezember, wenn meine Einreise drei Monate her ist, für nicht stattfindende Wahlen in den nächsten sechs Wochen registrieren? Die können mich doch alle mal.
-
Ja! Ich werde reich sein! Zusammengerechnet bestimmt 250 £ Lohn. ↩