Ein Semester in Belfast: Erfahrungen meines Auslandssemesters

Ausflüge

Lesedauer: 25 Minuten. Veröffentlicht am .
Inhaltsübersicht 📜
  1. Universität
  2. Ausflüge
  3. Kultur
  4. Wohnheim
  5. Verschiedenes
  6. Bürokratie
  7. Abschied

Diese Serie enthält gesammelte Texte aus meinem Blog aus der Zeit vom September 2010 bis zum Januar 2011, während der ich ein Austauschsemester an der Queen’s University of Belfast absolvierte. In meinem Blog habe ich für Familie, Freunde und Bekannte meine Eindrücke und Erfahrungen festgehalten. Zur gleichen Zeit studierte auch noch ein Münchner Kommilitone in Belfast, ein weiterer in Newcastle und ein Freund aus Heidelberg in Durham. Von jenen wird im folgenden auch das ein oder andere Mal die Rede sein. Die Texte sind hier nicht in ihrer chronologischen Reihenfolge wiedergegeben, sondern thematisch gruppiert. Insofern habe ich einige kleine Änderungen vorgenommen, um logische Sprünge zu vermeiden.


Wandern in und um Belfast

Vor der Uni war wegen der “Fresher’s Week” (Einführungstage) am Montag den ganzen Tag Party-Stimmung, was sich u. a. darin äußerte, dass im Abstand von 20 (!) Metern zwei verschiedene DJs gleichzeitig verschiedene Musik spielten. Unglücklicherweise hatten wir den Treffpunkt für die Wanderung genau dort gewählt, wo zu allem Überdruss auch noch zig verschiedene Clubs um die Gunst der potentiellen Besucher buhlten. Diese Woche wird es so ziemlich rund gehen, vermutlich.

Nachdem wir uns alle versammelt hatten, ging es mit einmaligem Umsteigen per Bus stadtauswärts zum Belfast Castle. Unsere Gruppe bestand dabei aus 18 Leuten, alle bis auf eine Schwedin französischer oder deutscher Herkunft, weswegen während des Ausflugs teils drei verschiedene Sprachen gleichzeitig zu hören waren. Dabei war die Busfahrt schon eine Aktion für sich, denn die Fahrer legen einen sehr interessanten Fahrstil an den Tag. Sylvester fragte auch extra noch nach, ob der Fahrer uns sagen könne, wenn wir aussteigen sollen (was natürlich nicht der Fall war und wir nur durch Zufall die richtige Haltestelle erwischt haben).

Wie wir dann während des Wegs feststellten, sind die Hausnummern in diesem Viertel im Norden der Stadt sehr wichtig, denn die Häuser haben nicht nur alle eine Backsteinfassade, sondern ähneln sich auch in den anderen Äußerlichkeiten stark.

Kurz bevor wir am Schloss angekommen sind, habe ich doch am Hafen ein Schiff mit mir bekanntem Logo gesehen. Wie sich herausstellte, handelte es sich doch tatsächlich um die Deutschland beim Verlassen des Hafens.

Bei schönem Wetter gestartet, zog es sich langsam zu und wir beschlossen, nicht viel Zeit beim Schloss zu verbringen und stattdessen den Cavehill zu besteigen, von wo aus man einen wunderbaren Ausblick auf Belfast genießen konnte. Letztendlich ist dann ein Teil der Gruppe (darunter ich) ganz bis nach oben gegangen, natürlich nicht den befestigten Weg, sondern die Abkürzung, was sowohl Schuhen als auch dem Träger derselben zu Schaffen machte. Belohnt wurden wir dann aber mit einer wunderschönen Landschaft.

Der Weg abwärts ging dann im wahrsten Sinne des Wortes querfeldein, bis wir zufällig eine Bushaltestelle erreichten und zurück fahren konnten.

Auf nach Bangor

Letztes Wochenende haben wir wieder einmal einen Kurztrip gemacht. Ziel war Bangor, eine Stadt mit Lage in der Bucht von Belfast. Unterwegs waren sieben Leute, und zwar aus Kentucky, Saskatchewan,1 Schweden, Aachen, Heidelberg und München2 sowie meine Wenigkeit.

Der ursprüngliche Plan sah vor, dass wir mit dem Zug hin fahren. Dabei dachte ich doch, dass die Züge hierzulande nicht als zuverlässig gelten. Aber ich ließ mich wie so oft überraschen – was auch gelang, da die Zugstrecke an jenem Sonntag geschlossen war. Da wir ohnehin recht knapp vor der Zeit an der Botanic Station in Belfast waren, schafften wir es nicht, rechtzeitig zum Schienenersatzverkehr zu kommen. Dafür gewannen wir etwas Zeit, um am Lagan entlang zu flanieren.

Zur gegebenen Zeit ging es dann in einen Doppeldeckerbus, der uns innerhalb einer halben Stunde nach Bangor brachte. Die Stadt ist ein Paradies für Segler, was sich nicht nur an der Menge der Schiffe im Yachthafen, sondern auch auf dem Wasser erkennen lässt. Es gibt auch einen Sandstrand, den wir natürlich sogleich aufgesucht haben. Wie kalt das Wasser war, kann ich nicht endgültig sagen, aber laut Wetterkarten müssen es wohl um die 14 °C gewesen sein. Richtig kalt eben.

Ein kleiner Stadtrundgang durfte natürlich auch nicht fehlen. Im Gegensatz zu Belfast haben die Häuser hier keine Einheits-Backsteinfassade, sondern sind farbenfroh aneinandergereiht. Außerdem ist mir aufgefallen, dass einige Vorgärten mit Gewächsen bepflanzt sind, die man eher in südlicheren Gefilden erwarten würde. Nun bin ich ja botanisch nicht sonderlich bewandert, würde aber (in der Hoffnung, mich nicht völlig zu blamieren) auf Yucca tippen.

Ziemlich müde vom vielen Laufen sind wir dann zurückgefahren, wo der am Morgen vorbereitete Pizzateig auf uns wartete.

A Giant’s Cause

Seit einigen Tagen hat Sylvester Besuch von der lieben Familie. Am Wochenende sollte daher etwas unternommen werden, wozu man mich freundlicherweise auch eingeladen hatte.

Nachdem wir also dank Zeitumstellung eine Stunde Schlaf mehr hätten haben können, das aber durch sich nicht selbst-umstellende Wecker grandios verschenkt haben, ging es mit dem Mietwagen zu einer unchristlichen Zeit los, was sich auch an der Anzahl der Menschen im Straßenverkehr gezeigt hat. Aber wir hatten ja auch eine ziemliche Strecke vor uns.

Glücklicherweise hatte die Fahrerin Erfahrung mit dem Linksverkehr, so dass das schonmal kein Problem darstellte. Man muss aber trotzdem ziemlich aufpassen. Ich wäre vermutlich mehrere Male bei Gegenverkehr auf engen Straßen in die falsche Richtung ausgewichen. Na ja, und ich hätte mir vielleicht auch ein Auto mit Automatikgetriebe gemietet, statt “mit links” zu schalten.

Die erste Station war Carrickfergus, wo wir am “Castle” eine kleine Fotopause eingelegt haben. Dieses stammt aus dem zwölften Jahrhundert und steht direkt am hübschen kleinen Hafen. Wer auf dem Bild den Bewohner des Castles findet, bekommt einen Punkt. Hier heißt übrigens wirklich alles “Castle”, selbst wenn nur noch zwei alte Mauern stehen. Jenes in Carrickfergus verdient aber die Bezeichnung.

Wir folgten der Causeway Costal Route, auf der man wirklich denken könnte, man sieht Irland wie im Bilderbuch. Die Straße blieb über weite Teile immer noch leer, was entweder daran gelegen haben konnte, dass es immer noch zu früh am Tage gewesen ist, oder dass die Leute ihre Halloween-Feierlichkeiten vorbereitet haben und deswegen zu Hause geblieben sind.

Den nächsten Stopp haben wir in Ballygally3 gemacht, ein kleines Dorf, natürlich auch mit obligatorischem Castle, welches heute als Hotel genutzt wird. Auf dem Bild kann man mit etwas Fantasie das Profil eines Kopfes sehen (links am Hang). Wer es nicht schafft: Macht nichts, ich habe auch meine Zeit gebraucht. Auf diesen Kopf sind wir auch nur gekommen, weil uns eine Einheimische darauf hingewiesen hat. Das ist auch einer der Gründe, warum es mir hier gefällt: Man kann mit den Leuten hier sehr schnell ins Gespräch kommen, meistens wird man sogar angesprochen.

Der dritte Punkt auf der Liste war die Carrick-a-Rede Rope Bridge in der Nähe von Ballintoy. Mit dieser Brücke wurde die zwanzig Meter breite Kluft zur felsigen Insel Carrick-a-Rede überspannt. Bereits seit zweihundert Jahren wird diese zur Lachsfischerei genutzt. Der Betreiber verlangt zwar 4 £ Eintritt pro Person, aber wenigstens hat man eine wunderbare Aussicht. Man kann zum einen die Insel Rathlin (nördlichster Punkt Nordirlands), aber auch Schottland, was nur weniger als 40 km entfernt ist, mit dem bloßen Auge erkennen. Natürlich nur, wenn einem das Wetter, wie in unserem Falle, gewogen ist. Wobei dann natürlich das richtige “Irland-Feeling” fehlt.

Nach einer weiteren kurzen Fahrstrecke kamen wir dann im Besucherzentrum vom Giant’s Causeway an. Dort wurden wir direkt 6 £ für den Parkplatz los, nicht ohne darauf hingewiesen zu werden, dass die Besichtigung ja kostenfrei sei.

Auch hier hatten wir glückliche Umstände. Das Wetter hielt und die Besucherstürme hielten sich in Grenzen. Einen kurzen Fußweg später befanden wir uns dann direkt an diesem Naturdenkmal – auf einer Länge von mehreren Kilometern befinden sich ca. 38000 Basaltsäulen, die Hälfte davon sechseckig. Ebendiese naturgeschaffene Regelmäßigkeit macht den Reiz dieser Felsformation aus, welche 1986 zum Weltkulturerbe der UNESCO erklärt wurde.

Zur Entstehungsgeschichte dieser 60 Millionen Jahre alten Säulen schreibt Wikipedia:

Wissenschaftlich wird die Entstehung des Basaltdammes als natürliches Abkühlungsphänomen heißer Lava erklärt. Formationen senkrechter Basaltsäulen können bei sehr langsamer und gleichmäßiger Abkühlung von Lava entstehen. Die Säulenstruktur bildet sich dabei aus langsam in das Material hineinlaufenden Spannungsrissen. Diese entstehen durch die Abkühlung und Schrumpfung des Materials und breiten sich senkrecht zur Abkühlungsfläche aus.

Natürlich bietet die irische Sagenwelt eine ebenso plausible Alternativerklärung:

Einer irischen Legende nach wurde der Damm vom Riesen Fionn mac Cumhaill gebaut. Man sagt, dass Fionn eines Tages von seinem schottischen Widersacher Benandonner so stark beleidigt wurde, dass er sich dazu entschloss, diesen Damm zu bauen, um Benandonner in einem Duell zu besiegen. Er riss riesige Felsen aus den Klippen der Küste heraus und stemmte sie in das Meer, um einen sicheren Weg nach Schottland zu bauen. Als er mit dem Bau fertig war, forderte er Benandonner zum Kampf heraus. Um seinen Ruf nicht zu verlieren, blieb diesem nichts anderes übrig, als die Herausforderung anzunehmen, und so machte er sich auf den Weg auf die irische Insel. Fionn, den die Arbeiten an dem Damm ermüdet und erschöpft hatten, suchte derweil nach einem Ausweg, wie er sich vor dem Aufeinandertreffen mit dem schottischen Riesen erholen könnte. Er verkleidete sich daraufhin als Baby und wartete mit seiner Frau auf die Ankunft Benandonners. Als dieser erschien, beteuerte Fionns Frau ihm, dass er gerade nicht da sei. Gleichzeitig lud sie ihn auf einen Tee ein und versprach, Fionn werde bald zurückkommen. Als Benandonner beim Warten das angebliche Baby sah, erblasste er bei der Vorstellung, dass bei der Größe des Kindes der Vater gar gigantische Ausmaße haben müsse. Die Furcht packte ihn und er rannte über den Damm zurück nach Schottland und zerstörte ihn dabei hinter sich.

Der Giant’s Causeway ist vermutlich die meistbesuchte Sehenswürdigkeit in Nordirland. Zu Recht, kann ich nur sagen. Wer hierher kommt, sollte sich das auf keinen Fall entgehen lassen. Am Besten suche man sich auch eine Zeit außerhalb der Saison aus: 2008 gab es insgesamt 750000 Besucher, denen man schließlich nur in kleinen Portionen begegnen will.

Auf dem Bild mag es nicht so erscheinen, aber es handelt sich um ein ziemlich großes Areal. So erwartet einen noch das “Amphitheater” und eine spezielle Formation, die wie eine Orgel aussieht. Dabei sind die größten Säulen bis zu zwölf Meter hoch.

Schon leicht müde und ziemlich hungrig wurde dann noch der Tea Room aufgesucht. Ich hatte irrigerweise angenommen, dass dort ordentliche Postkarten in größeren Mengen aufzutreiben sind. Es gab ganze zwei Motive, die annehmbar waren. Das sind schon mal 10 Prozent meiner Liste. (Ich verschicke nur ein Exemplar jeder Karte, damit mir hier keine Beschwerden eingehen.) Die werten Freunde und Familienmitglieder müssen sich also noch etwas gedulden.

Aus einem Besuch in der nahe gelegenen Old Bushmills Distillery wurde dann aber nichts mehr, da wir die letzte Führung verpasst halten. Dementsprechend ging es auf der schnelleren Strecke wieder zurück nach Belfast. Fast rechtzeitig zum großen Halloween-Feuerwerk erschienen, rundete das den erlebnisreichen Tag ab.

Einmal England und zurück

Derzeit hat es ja unter meinen Freunden einige ins Ausland gezogen. Zufälligerweise sind auch neben mir noch drei weitere im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland zu Gast (darunter natürlich auch Sylvester hier in Belfast). So beschloss ich mir ein Wochende Zeit zu nehmen, um Mike (Informatikstudent an der TUM) in Newcastle upon Tyne und Stephan (auch bekannt als Herr H.) in Durham zu besuchen. Wie praktisch, dass die beiden Städte in Nordostengland nah beieinander liegen.

Zu Beginn war meine Lieblingsaufgabe zu erledigen: organisieren. Das involvierte auch eine nicht ganz so angenehme Tätigkeit, nämlich Flüge buchen. Als unfassbar armer Student (der gerade eine Bafög-Nachzahlung erhalten hat) muss man natürlich die günstigsten Tickets finden. Wer das schon einmal versucht hat, weiß, warum ich das nicht gerne tue. Die Flugpreise fluktuieren von einem Tag zum nächsten und man muss sich überhaupt wundern, warum der eine Flug zur ungünstigsten Zeit jetzt 0 £ und alle anderen 40 £ kosten. Das dann alles noch in unglaublicher Geschwindigkeit zusammensuchen, da man befürchten muss, dass sich die Preise in einer Stunde schon wieder ändern werden. Ganz am Ende wird einem dann stolz der Gesamtbetrag präsentiert, auf einmal mit weiteren 10 £ Gebühren für die Bezahlung mit der Kreditkarte – Zahlen kostet schließlich auch.

Allen Widrigkeiten zum Trotz hatte ich es geschafft und zwei Flugtickets in der virtuellen Hand. Belfast nach Newcastle am Freitag, Rückflug am Montag. Parallel mit Mike und Stephan vereinbart, wollte ich am Freitag in Newcastle übernachten und am Samstagnachmittag nach Durham aufbrechen. Einige Tage vor Abflug fiel mir noch auf, dass ich ab Belfast International und nicht City Airport fliegen werde. Gut zu wissen.

Dem Kurztrip stand dann nur noch die ungepackte Tasche im Weg. Zum ersten Mal flog ich nur mit Handgepäck und musste daher alle benötigten Sachen in meinen viel zu kleinen Rucksack zwängen. Einen echten Informatiker kann so ein NP-schweres Rucksackproblem4 aber nicht aus der Fassung bringen, so dass nach fünfmaligem Umpacken schließlich eine annähernd suboptimale Platzausnutzung erreicht war.

Wie immer viel zu früh – mancher würde jetzt sagen, “nach vorne hin unpünktlich” – verließ ich das Wohnheim und ging Richtung Stadtzentrum, um am Europa Buscentre in den Bus zum Flughafen zu steigen; 10 £ kostet das Ticket für beide Richtungen. Angekommen am Flughafen, wollte ich mich erstmal am Check-in-Schalter anstellen, bis mich jemand darauf hinwies, dass ich bereits eine Online-Bordkarte hätte und man dann in Ermangelung der Notwendigkeit eines freundlichen Schalterangestellten auch direkt zur Sicherheitskontrolle schreiten könne. Ab da ging es relativ schnell, der Inlandsflug dauerte gerade mal 40 Minuten. Mein Pass wurde zu meiner Verwunderung auf der gesamten Strecke an jenem Tag nur von der Dame am Gate flüchtig begutachtet.

Dank perfekt vollendeter Planung und nach knapp halbstündiger Fahrt mit der Metro (ähnlich zu U-Bahn) traf ich mich pünktlich mit Mike am Monument im Stadtzentrum. Mit Zwischenstopp in seiner Wohnung, die er sich mit sechs Leuten teilt und unter Missachtung sämtlicher roter Ampeln5 schlenderten wir noch etwas in Newcastle herum. In einer gut von Studenten besuchten Bar bestellte ich im Gegensatz zu Mike ein nicht-alkoholisches Getränk, wurde aber auch im Gegensatz zu Mike nach meinem Ausweis gefragt. Notiz an mich: Bart wachsen lassen.

Interessant ist hier, dass die Röcke der Partygängerinnen offenbar mit fallender Außentemperatur immer kürzer werden. Das gleiche bei den Jungs – ohne Jacke oder Pullover wäre ich da längst erfroren. Newcastle scheint auch Party-Hochburg zu sein, zumindest zogen gegen Mitternacht Massen mehr oder weniger lärmend durch die Straßen. Polizeiaufgebot (mit lustigen Hüten) war auch mit von der Partie.

England zeigte sich wieder von seiner prächtigsten Seite, die es wohl auch am besten beherrscht: Regen in verschiedenen Abstufungen von “Ist doch bloß Niesel” bis “Ach, lass uns ein Café suchen”. Ob meine Jacke während des gesamten Wochenendes überhaupt einmal zum Trocknen gekommen ist, wage ich zu bezweifeln; trotzdem haben wir uns einen Stadtrundgang nicht nehmen lassen.

Eine der Stationen war Gateshead, eine Stadt auf der anderen Seite der Tyne. Verbunden werden die beiden Städte über mehrere Brücken, darunter die Millenium Bridge, welche, wie man im Bild an den Seilen vielleicht erkennen kann, nicht wie gewöhnlich in Richtung der Flussränder hochgeklappt wird, sondern um die Längsachse angehoben wird.

Zu sehen gibt es in Gateshead z. B. das futuristisch aussehende Sage (eine Mehrzweckhalle) und das Baltic Centre for Contemporary Art. In letzterem wird regulär zeitgenössische Kunst ausgestellt; um also nicht ganz als Kulturbanausen da zu stehen, statteten wir dem Baltic einen ausführlicheren Besuch ab. So richtig spricht mich moderne Kunst zwar nicht an, aber immerhin konnte ich im Shop ein paar ordentliche Postkarten ergattern. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt erreichte mich eine sich über das Wetter beschwerende Nachricht von Stephan. Tja, kann ich auch nichts machen. In Belfast war das ganze Wochenende über Sonnenschein.

Wieder zurück in Newcastle, durfte auch ein Rundgang durch das Stadtzentrum inklusive Markt nicht fehlen. Im Gegensatz zum Belfaster Markt handelt es sich um feste Stände, aber dafür fehlt die Live-Musik. Allgemein sollte man mehr aus England und Nordirland miteinander kombinieren. Unsere Schneeschiebe-Polizeivans, gefahren von Polizisten mit deren von Pickelhauben inspirierten Hüten, das wäre doch mal was.

Zu meiner Überraschung hat Newcastle eine eigene Chinatown mit wie üblich pompösem Eingangstor. Groß ist sie allerdings nicht, demzufolge gab es auch nicht viel zu sehen.

Gegen 15 Uhr brachen wir auf in Richtung Bahnhof, da ich noch vor Anbruch der Dunkelheit in Durham ankommen wollte (ist mir auch fast gelungen). So einfach mit Ticket kaufen ist das dann hier aber auch wieder nicht, denn man muss aufpassen, welchen Betreiber man erwischt. Mit dem Universalticket darf man jeden Zug fahren, kostet aber auch 5,20 £ statt 3,10 £. Armer Student entscheidet sich daher für die Arme-Studenten-Variante, nimmt eine halbstündige Wartezeit auf den übernächsten Zug in Kauf und investiert das gesparte Geld in die Samstagsausgabe vom Guardian, deren Zeit im Trockenen ebenso wie die meiner Jacke jetzt endgültig abgelaufen sind.

Nach ungefähr zehnminütiger Zugfahrt, während der ich natürlich nicht zum Lesen des Guardian kam, weil ich nervös auf die Anzeige starrte, um bloß nicht die Haltestelle zu verpassen, kam ich in Durham an. Eine weitere Besonderheit beim Bahn fahren in UK ist, dass man sowohl beim Betreten als auch Verlassen der Bahnsteige mit seiner Karte eine Personenvereinzelungsanlage passieren muss, und natürlich die allgegenwärtigen Überwachungskameras und Sicherheitskräfte.

Das Wetter hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht verbessert und tat es auch an diesem Tag nicht mehr. Zunächst suchten wir aber erstmal Stephans WG auf, um über weitere Vorgehen zu debattieren. Die Wahl fiel dann auf eine Jazz Night im Hatfield College.

Zunächst musste ich mir aber dieses ganze System mit den Colleges erklären lassen. Den Begriff “College” assoziierte ich bisher mit einer Bildungseinrichtung. In Durham gibt es insgesamt 16 dieser Colleges, die im Wesentlichen für die Unterkunft und Verpflegung der Studenten verantwortlich sind und eben auch diverse Veranstaltungen anbieten. Mit der Lehre hat das also nicht das geringste zu tun, die findet ausschließlich in der Universität statt.

Wir kamen also des Abends etwas verspätet im College an und ich stellte voller Entsetzen fest, dass die Band schon zu spielen angefangen hatte. Dabei dachte ich doch, es seien alle unpünktlich, aber das scheint wohl bloß ein irisches Phänomen zu sein. Gespielt hat die Big Band “Kinky Jeff & The Swingers”, am Anfang auch nicht schlecht. Irgendwann fanden sie es dann aber besser, lieber laut zu spielen. Das funktioniert bei Bläsern leider nicht auf Dauer. Äußerst amüsant war dann aber, angeheiterten Studenten bei ihren mehr oder weniger rhythmischen Auslassungen auf der Tanzfläche zuzusehen. Wie gut, dass ich Paartänze bevorzuge, da blamiert man sich bei weitem nicht so schnell.

Das Aufsuchen eines Pubs nach Ende des Konzerts hat dann nicht mehr geklappt, da entweder zu voll (von Studenten belagert) oder zu spät (letzte Runde schon ausgegeben). Machte aber nichts, denn stattdessen haben wir noch einen kleinen Spaziergang durch Durham gemacht.

Am Sonntag hatten wir uns Zeit genommen, die Stadt zu besichtigen, was am Tag vorher wegen Anbruchs der Dunkelheit nicht geklappt hatte.

Am Vormittag begleitete ich Stephan zum Gottesdienst der King’s Church, der in der dortigen Student’s Union stattfand. Es bot sich eine völlig andere Atmosphäre als ich es aus Deutschland kannte. Zunächst einmal wird wesentlich mehr gesungen und auch von einer Band begleitet. Die Gemeindemitglieder werden auch viel mehr in das Geschehen mit einbezogen, in dem sie eingeladen sind, selbst zu Wort zu kommen und über religiöse Erfahrungen zu berichten. Ich hatte auch den Eindruck, dass man viel besser mit anderen ins Gespräch kommt.

Nach einem Mittagessen im Hatfield College haben wir beschlossen, uns die historische Altstadt anzusehen, die im wesentlichen aus der Cathedral und dem Castle auf einer Halbinsel besteht, die vom Fluss Wear gebildet wird. Vom Turm aus bietet sich ein wunderbarer Ausblick6 über die gesamte Stadt, den man sich aber mit über 200 Stufen erst einmal erarbeiten muss. Außerdem hat man den Nieselregen dort oben ganz anders zu spüren bekommen, aber man ist ja in England, nicht wahr? Auf halber Strecke nach unten sahen wir auch den Raum, wo die Glocken geläutet werden, aber wir keinen Zutritt hatten. Stephan war auch ganz schockiert, dass in der Kathedrale immer noch von Hand geläutet wird und man nicht nur einen Knopf drücken muss. Die Kathedrale war übrigens Kulisse für die Dreharbeiten von zwei Harry-Potter-Filmen, was man auch sehr schön im Kreuzgang sehen kann.

Auf der Suche nach einer Aufwärmung gingen wir in ein benachbartes Café, in welchem ich sogleich einmal ausprobieren wollte, ob die Engländer denn die nordirischen Banknoten akzeptieren. Da die Banknoten innerhalb des Vereinigten Königreichs uneinheitlich sind, könnte es zu Problemen kommen, weshalb ich schon zwei Wochen vor Reiseantritt fleißig englisches Geld gesammelt habe. Bei der Bezahlung wurde mein “Spielgeld”, wie es von Stephan (und auch von Mike) tituliert wurde, jedoch problemlos akzeptiert.

Nur wenige Meter von der Kathedrale entfernt befindet sich die normannische Burg Durhams, heute Teil des University College. Tatsächlich wohnen Studenten in der Burg – eine bessere Art der Unterbringung kann man sich doch nicht vorstellen, oder? Dummerweise wurden an diesem Tag keine Führungen gemacht, denn in der großen Halle wurde das Anschalten der städtischen Weihnachtsbeleuchtung gefeiert, deshalb waren weite Teile der Burg selbst für die Studenten gesperrt.

Stephan wollte das natürlich nicht hinnehmen, so klapperten wir dreist einige offene Türen ab, hinter denen aber auch nicht viel zu sehen war (dreist, da Stephan schließlich Hatfielder ist und die beiden ältesten Colleges eine kleine Rivalität pflegen). Kurze Zeit nachdem Stephan erwähnte, dass er einen Robert kennt, der mit uns eine Führung machen könnte, dieser aber übers Wochenende nicht da sei und wir schon wieder das College verließen, kam uns dieser Robert entgegen. So erhielten wir doch noch einen kleinen Einblick in die alten Gemäuer. Sehr eindrucksvoll, kann ich da nur sagen, stehen doch z. B. an vielen Stellen Ausstellungsstücke wie alte Waffen. Auch der Plan der Burg ist einsehbar und offenbart, dass zwischen den verfeindeten Colleges wohl ein unterirdischer Tunnel existieren müsse, den aber weder Stephan noch Robert kannten.

Nach diesem erlebnisreichen, aber viel zu kurzem Ausflug stand dann die etwas umständliche Rückreise an. Beim Heraussuchen der Zugverbindung von Durham nach Newcastle zum Rückflug am Montag offenbarte sich nämlich das Problem, dass ich spätestens 5 Uhr (ja, morgens) am Flughafen sein musste. Um diese unchristliche Zeit fährt, völlig zu Recht natürlich, kein Bus oder Zug. Folglich bin ich am Sonntag wieder zurück nach Newcastle gefahren, um dort zu übernachten und dann ein Taxi zu nehmen. Das Bestellen war nicht ganz so leicht, denn die freundliche Mitarbeiterin in der Taxizentrale sprach nicht gerade leicht verständlich, was vermutlich am lokalen Dialekt (Geordie7) lag. Nach mehrfachem Durchsagen der Hausnummer und Flugzeit wurde mir dann offenbart, dass 4:30 ein Taxi bereit stehen werde. Nun, lässt sich machen, hat dann auch alles geklappt. Im Taxi hatte ich dann den nächsten Kontakt mit einem Geordie, den ich aber recht gut verstanden habe. Der weitere Weg verlief unproblematisch – theoretisch wäre ich sogar noch rechtzeitig zu meiner Vorlesung in Belfast angekommen, welche ich mir aber zwecks Ausgleichs meines Schlafdefizits geschenkt habe.

Sliabh Dónairt

Was macht man zwischen zwei Klausuren? Richtig, sich freuen, dass die erste vorbei ist, und die zweite ignorieren. Da letzteres daheim zwar auch möglich ist, man aber keine Ausrede parat hat, haben Sylvester und ich uns entschlossen, eine Wandertour zu machen. Die Wahl fiel schnell auf den Slieve Donard (irisch: “Sliabh Dónairt”), die höchste Erhebung Nordirlands (850 m) und Teil der Mourne Mountains.

Morgens um 9 Uhr ging es mit dem Bus Richtung Newcastle. (Nordirland hat sein eigenes Newcastle, allerdings wesentlich kleiner als das englische Pendant.) Das erste, was man sieht, wenn man mit dem Bus ankommt, ist der ehemalige Bahnhof, dessen Gebäude mittlerweile eine Lidl-Filiale beherbergt. Das Städtchen gefiel uns auf Anhieb – die Hauptstraße wurde erst kürzlich aufwendig modernisiert. Ein Straßenschild wies den Weg zur Touristeninformation mit wenig hilfreichen “600 yards” aus, wovon natürlich keiner wusste, wie viel das in Metern sein mag.

Der Wanderweg war nur etappenweise befestigt, ansonsten musste man sprichwörtlich über “Stock und Stein”. Da allerdings die Steigung nicht sehr hoch war, ließ sich das auch für mich als wenig trainierte Person meistern. Eine schöne Aussicht gab es natürlich auch zu genießen, unter anderem der Blick ins Tal und zum Meer.

Einen kurzen Zwischenstopp haben wir an der Mourne Wall eingelegt, eine 35 km lange Mauer quer durch den Gebirgszug. Früher wurde sie genutzt, um Vieh vom Trinkwasser-Quellgebiet fernzuhalten. Dort links abbiegen, und weit ist es nicht mehr zum Gipfel. Ab dieser Höhe wurde es deutlich kälter und windiger, weshalb wir nur ein paar Minuten oben verweilten. Der Abstieg gestaltete sich dann wegen der rutschigen Wege als schwierig; dreckige Hose nach Ausrutscher im Schlamm inklusive. Aus unerfindlichen Gründen ist meine Jacke jedoch verschont geblieben.

Insgesamt haben wir ca. fünf Stunden gebraucht, also zwei Stunden mehr, als der Lonely Planet vorgegeben hatte. Nun, wir sind ja auch keine Profi-Wanderer.

Quellennachweis

  1. Unsere Kanadierin wird oftmals gefragt, wo genau das sei. Offenbar können das viele nicht einmal aussprechen, geschweige denn lokalisieren. 

  2. Auch wo München (bzw. “Bavaria”) sei wird oft nachgefragt. Man braucht aber bloß “Oktoberfest” zu sagen, schon wissen alle Bescheid. 

  3. Der englische Name selbst ergibt keinen Sinn, es ist eine Art Übersetzung aus dem Irischen “Baile Geithligh”, was “Townland von Geithleach” bedeutet. So ergeht es vielen Ortsnamen hier. 

  4. Da kann man mal sehen, wie viel Realität in der Informatik steckt! 

  5. Das Einfach-Losgehen ist üblich hier. Manchmal frage ich mich, warum die Fußgänger bei grünen Ampeln nicht demonstrativ stehenbleiben, so als Akt zivilen Ungehorsams. 

  6. Im Bild nicht zu sehen: das örtliche Gefängnis. 

  7. Mike hat gar ein kleines Geordie-Wörterbuch, auf dessen Rückseite ein Gedicht über London geschrieben steht, wobei sich die Bedeutung aber bestenfalls erraten lässt. Da bin ich aber froh, dass Ulster English besser verständlich ist.